Kinder Entscheidungen treffen lassen: was dürfen Kinder ab wann entscheiden

„Magst du Apfel oder Schokolade?“

„Schokolade!!!!“

„Na, aber zuerst musst du den Apfel essen.“

Diesen Dialog zwischen einer Mama und ihrem Dreijährigen habe ich tatsächlich so im Originalton vor einigen Jahren auf einem Spielplatz mitgehört.

Wenn man das hier so liest, ist es wahrscheinlich jeder Mama klar, dass das leider vollkommener Blödsinn ist. In der Situation selbst wollte diese Mutter aber bestimmt nur das Beste für ihr Kind. Leider kamen da zwei „beste Dinge“ durcheinander.

Offenbar war hier einerseits im Hinterkopf die Empfehlung „Lass dein Kind selbst entscheiden“, andererseits „Obst ist gesünder als Naschereien“ – beide Gedankengänge sind per se nicht unrichtig, aber mit einigen Hürden in der Umsetzung versehen!

Darum gehts hier:
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    Ab wann Kinder selbst Entscheidungen treffen können, sollen und dürfen

    Über Kinder und Naschen habe ich schon öfter geschrieben, hier soll es jetzt um Entscheidungen gehen:

    • Was du bedenken solltest, bevor du deinem Kind eine Entscheidung überlässt
    • Ob man „sich entscheiden können“ überhaupt lernen muss
    • Warum Kinder manchmal aggressiv reagieren, wenn man sie etwas entscheiden lässt
    • Wie du Entscheidungen kinderadäquat gestalten kannst

    Kurzer Blick zurück zum Eingangsdialog – was nehmen wir daraus mit für unseren Alltag?

    Überlass deinem Kind nur dann eine Entscheidung, wenn du mit jedem möglichen Ausgang leben kannst!

    Ja, es ist schon richtig, dass es Übung braucht im Entscheidungen treffen und dass es gut ist, wenn Kinder das eine oder andere auch selbst entscheiden dürfen.

    Doch da gibt es im Vorfeld einiges zu bedenken, bevor wir dem Kind eine Entscheidung überlassen.

    Das Alter des Kindes

    Je jünger, desto ungeübter – aber vielleicht auch spontaner!
    Mit zunehmendem Alter kommen immer mehr Überlegungen über die möglichen Folgen dazu, was die Entscheidung auch schwerer machen kann. Bedenke, für einen Dreijährigen ist die Entscheidung, ob er Apfel- oder Orangensaft trinken mag ungefähr genauso schwer wie für dich zum Beispiel, ob du den neuen Job annehmen sollst oder im Alten bleibst.

    Eine Entscheidung FÜR etwas bedeutet immer auch gleichzeitig die Entscheidung GEGEN etwas anderes!

    Im Teenageralter nehmen die Überlegungen über die Folgen einer Entscheidung übrigens für ein paar Jahre wieder dramatisch ab, das liegt an der Hirnentwicklung!

    Die Tageszeit und die Situation

    Ein ausgeschlafenes, sattes Kind im Vollbesitz seiner Ressourcen kann leichter eine Entscheidung treffen als ein müdes hungriges direkt vor dem Abendessen. Das gilt auch für ein und dasselbe Kind!
    Was heute geht, kann morgen schiefgehen ...

    Das Temperament des Kindes

    Es gibt spontane Menschen, die gerne Dinge ausprobieren.
    Es gibt Skeptiker, die lieber ein paar Atemzüge länger überlegen und sich Zeit lassen.
    Und es gibt die ganz Zögerlichen, die gerade zu Angst vor einer Entscheidung entwickeln können und deshalb schon mal Hilfe dabei brauchen.

    Solche Eigenschaften sind angeboren, sie lassen sich auch nicht „wegerziehen“! Hier helfen Akzeptanz seitens der Eltern und sukzessive die Lernerfahrungen bei immer wiederkehrenden Entscheidungen.

    Die Tragweite der Entscheidung

    Diesen Punkt musst vor allem du als Elternteil für dein noch junges Kund überdenken und im Auge behalten: Wie weit beeinflusst diese Entscheidung das Leben meines Kindes? Nur die nächsten paar Minuten? Unsere Nachtruhe? Oder gleich die nächsten Jahre?

    Dazu passt als Beispiel ganz gut die Geschichte, inwieweit ich meine Kinder bei der Schulwahl habe mitentscheiden lassen und welche Gedanken ich mir bei welcher Schulstufe dazu gemacht habe:

    Die Auswahl der Volksschule haben ausschließlich wir als Eltern getroffen! Ganz einfach auch, weil die Schule unser Nachbarhaus ist und wir von anderen Familien schon ganz viele positive Erfahrungsberichte hatten. Zudem gab es in dieser Schule neben den „normalen“ Schulklassen auch zwei Mehrstufenklassen, in denen Kinder aus vier Schulstufen parallel unterrichtet werden. Dieses Modell fand und finde ich noch immer ganz großartig, weil hier im sozialen Zusammenleben unglaublich viel – und damit meine ich nicht den Schulstoff! - gelernt wird.

    Für die Sekundarstufe haben wir als Eltern drei Schulen ausgesucht und gemeinsam mit den Kindern angeschaut. Aus dieser Vorauswahl haben sie dann ihre eigenen Entscheidungen getroffen. Mit vier Jahren Erfahrung und einer Idee, was täglich zur Schule gehen bedeutet (eine Erfahrung, die Kindergartenkinder noch nicht haben!), habe ich ihnen das auch zugetraut.

    Ehrlich gesagt, war ich bei den getroffenen Entscheidungen beider Kinder erstmal skeptisch, sie haben sich jedoch beide Male als perfekt erwiesen!

    Für die Oberstufe haben wir als Eltern eigentlich nur noch die Rolle als Berater eingenommen und uns gemeinsam mit den Kindern informiert, welche Schulen und Möglichkeiten es gibt. Es war mir vor allem wichtig, dass sie nicht an der AHS bleiben, bloß weil sie keine Alternativen kennen – hier haben wir sie aber ohne jede elterliche Vorauswahl oder Mitbestimmung entscheiden lassen. Es wurde übrigens bei beiden eine berufsbildende Schule!

    Mein Kind kann sich nicht entscheiden

    Müssen Kinder sich entscheiden können lernen?

    Ja, aber wir müssen als Eltern nicht mit Hochdruck daran arbeiten und es üben wie ein Schulfach.

    Ein „Oje, heute haben wir ja noch gar nicht Entscheidungen treffen geübt!“ ist völlig unangebracht.

    Bedenke: schon ein Baby dreht selbstständig seinen Kopf zur Seite, wenn ihm der Augenkontakt zu viel wird!

    Das können wir natürlich noch nicht „eine wohlüberlegte Entscheidung“ nennen, aber das macht das Baby ganz alleine. Darauf können wir vertrauen!

    Im Prinzip besteht ja ein Tagesablauf – selbst bei einem Kind - aus jeder Menge Entscheidungen:

    • „Greife ich zum Ball oder zum Beißring?“
    • „Nehme ich zuerst die Erdbeere oder die Heidelbeere?“
    • „Finde ich das gut oder schlecht, dass ich das Schokokeksi nicht vor dem Essen haben darf?“

    Als Erwachsene treffen wir viele Entscheidungen unbewusst. Da stecken mehr oder weniger langjährige Lernerfahrungen dahinter. Stell dir vor, du müsstest bei jeder roten Ampel nachdenken und bewusst entscheiden, was du jetzt zu tun hast!

    Oder jedes Mal beim Anziehen: „Strecke ich zuerst den linken Arm in den Pulloverärmel oder den rechten?“

    Das wäre furchtbar anstrengend, oder!

    Kinder müssen üben und Informationen sammeln, um sukzessive mehr Entscheidungen auch unbewusst treffen zu können – Gewohnheiten und Rituale können uns helfen Entscheidungen „zu sparen“, aber bis Kinder diese entwickelt und verinnerlicht haben, dauert es.

    Und deshalb reagieren sie auch manchmal verwirrt oder auch aggressiv, wenn man sie etwas entscheiden lässt. Die Eltern stehen dann ratlos daneben und können sich nicht erklären, was da gerade los ist?
    Die Eltern meinen, dem Kind etwas Gutes getan zu haben, weil es ja selbst entscheiden darf und dann erntet man dafür den Mega-Trotzanfall. So zeigt sich aber einfach, dass das Kind mit dieser Entscheidung in diesem Moment überfordert ist!

    Geht übrigens auch immer wieder Erwachsenen so – manche entwickeln sogar eine regelrechte Angst vor Entscheidungen.

    Wie du deinem Kind bei Entscheidungen helfen kannst

    Halten wir nochmal fest:

    Du bist als Erwachsene in der Pflicht zu entscheiden, ob und welche Entscheidungen du deinem Kind überlassen kannst!

    Dabei bist du auch gefordert, die jeweilige Situation gut einzuschätzen – manchmal muss man Entscheidungsmöglichkeiten bewusst aufmachen, manchmal wollen dieselben eingeschränkt werden.

    Fall 1: Entscheidungen „öffnen“ – über Alternativen nachdenken

    Für Kinder (aber auch für Erwachsene!) ist es oft wie eine Blockade, wenn es bei einer Entscheidung nur zwei Möglichkeiten gibt, es nur um Ja oder Nein geht – soll ich das jetzt machen oder nicht?
    Gerade, wenn dann beide Alternative jetzt nicht auf megagroße Zustimmung stoßen, ist der Gedanke hilfreich: was ist sonst noch möglich?

    Bedenke bei einer Entscheidung zwischen A und B, dass es noch mehr als 20 weitere Buchstaben gibt!

    Fall 2: Entscheidungen mit elterlicher Vorauswahl versus globale Entscheidungen

    „Was magst du zum Abendessen haben?“
    Das ist eine sehr globale Frage, die viel Nachdenken erfordert und zu Stress führen kann. Schwierig eine Entscheidung zu treffen! Und vermutlich ist dann genau das nicht im Kühlschrank, was dem Kind einfällt …

    Ärger vorprogrammiert bei dieser Entscheidungsfindung!

    Wann jetzt das Finden von Alternativen oder das Einschränken gefragt ist, das kann ich dir leider nicht sagen – weil es eben von den oben genannten Faktoren abhängt, das musst also immer selbst entscheiden.

    Was ich dir aber gerne noch mitgebe, ist das Durchdenken eines konkreten Beispiels anhand einer Frage, die mir immer wieder gestellt wird:

    Darf mein Kind entscheiden, was es in der Früh anzieht?

    Gerne kommt die Frage auch in der Variation: darf ich mein Kind entscheiden lassen, was es anziehen mag?

    Das klingt jetzt aufs Erste nach einer Entscheidungsfrage, die als Antwort nach einem Ja oder Nein verlangt – ja, wenn das Leben so einfach wäre, gäbe es diesen Blog nicht ?

    Machen wir uns auf die Suche nach der Ursache der elterlichen Frage:

    Möchte das Kind gerne selbst entscheiden? Wenn ja, worum könnte es dem Kind dabei gehen? Hat es ein spezielles „modisches Gespür“(gerade eine spezielle Lieblingsfarbe oder möchte es dasselbe T-Shirt wie der Kindergartenfreund anziehen) oder liegt es an der Strumpfhose, die so komisch kratzt, geht es also eher um den Tragekomfort? Oder ist es eher der Wunsch nach Selbstbestimmung?

    Oder ist es eher der elterliche Wunsch, weil gedacht wird, das muss das Kind jetzt schon selbstständig können?
    Welche Ängste der Eltern stecken bei dieser Frage dahinter? Die Angst, dass das Kind im Kindergarten ausgelacht wird, wenn die Farbkombination zu abenteuerlich ist oder die vor einer Verkühlung, wenn das gewählte Outfit nicht der Witterung entspricht?

    Erst nach solchen vorausgehenden Überlegungen können wir die praktische Umsetzung durchdenken – welche Varianten (außer ja, das Kind entscheidet oder nein, es darf nicht!) haben wir noch:

    • Die vollkommen selbstständige Auswahl – eignet sich für Kinder, die gerne entscheiden und Eltern, die ausreichend starke Nerven haben, kann ja auch mal stressfrei am Wochenende ausprobiert werden.
    • Die Auswahl aus dem vorbereiteten Kleiderschrank – dh. im Schrank sind nur der Jahreszeit und der Witterung entsprechende Kleidungsstücke, aus diesen darf frei gewählt werden
    • Die Auswahl am Vorabend – eignet sich für Kinder, die oft länger für Entscheidungen brauchen, spart Zeit und Stress bei der Morgenroutine 

    Natürlich kann hier noch vieles innerhalb der Varianten probiert werden – zum Beispiel:

    • Kind wählt die Unterwäsche aus, Eltern die Oberbekleidung (vor allem für Kinder, die ein sehr „sensibles“ Hautgefühl haben)
    • Die Auswahl wird mit elterlicher Hilfestellung vorgenommen
    • Kombination mit Wetterbeobachtung -  am Vorabend wird der Wetterbericht für morgen besprochen und welche Kleidung vom Wärmeaspekt dann wohl passend wäre, hier findest du eine Bastelvorlage für ein Wetterrad
    • An Wochentagen gilt etwas anderes als am Wochenende

    Du siehst, so kann man aus einer scheinbar einfachen Ja/Nein-Entscheidung durch Aufmachen, Variieren oder Einschränken der Möglichkeiten eine ganz individuelle Lösung finden!

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    Mama von zwei großartigen Töchtern, passionierte Langschläferin, Besitzerin (und Leserin!) mehrerer Kubikmeter Fachliteratur, zufriedene Kundinnen seit 2009

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