Mama, ich hasse dich!
Mama, ich hasse dich!
Das schrie mir meine dreieinhalbjährige Tochter entgegen – am helllichten Nachmittag, als ich sie vom Kindergarten abholen wollte.
Mitten im Garten des Kindergartens.
Vor versammelter Mannschaft
Pädagoginnen, jede Menge anderer abholender Mütter
Nicht gerade prickelnd die Situation.
Noch dazu, wenn jeder weiß, dass du Erziehungsberaterin bist und jetzt doppelt neugierig ist, wie du wohl reagierst …
Vielleicht magst du ja glauben, bei mir daheim geht immer alles glatt in Sachen Familienleben, weil ich ja gelernt habe, wie das zu gehen hat. Weil ich alle Tricks und Kniffe der Kommunikationspsychologie kenne.
Deshalb sind meine Kinder immer super kooperativ, wenn es ums Aufräumen geht. Morgens beim Außer-Haus-Gehen herrscht Dauerfrieden und wir starten alle gelassen lächelnd in den Tag. Und selbstverständlich wird bei uns zu Hause nie gestritten.
Weit gefehlt!
Meistens kenne ich die Probleme meiner Klientinnen sehr gut aus eigener Erfahrung. Eine Situation professionell von außen zu betrachten und selber drin zu stecken, sind zwei komplett unterschiedliche Paar Schuhe.
Bloß weil man einen Beruf gelernt hat, heißt das noch lange nicht, selbst alles perfekt umsetzen zu können. Schließlich gibt es auch rauchende Lungenfachärzte und geschiedene Paartherapeuten!
Weißt du, was ich mache, wenn ich mal so gar nicht mehr weiterweiß? (wie ich auf obige Situation im Kindergarten reagiert habe, erfährst du natürlich auch noch etwas später!)
Ich hole mir Hilfe in meiner Gruppe an Familienberater-Kolleginnen, einer Mastermind-Gruppe.
Teils kennen wir uns noch von der Ausbildung, teils von Netzwerk-Aktivitäten und wir treffen uns regelmäßig. Natürlich wird da auch mal ganz einfach geplaudert, aber oft geben wir uns gegenseitig Inputs, weil man bei den eigenen Geschichten meist betriebsblind ist.
In der Gruppe liegt die Kraft. Verschiedene Sichtweisen, unterschiedliche Erfahrungen und Standpunkte, konstruktive Kritik und die Gelegenheit zum gemeinsamen Brainstorming in verzwickten Situationen – es gibt nichts Besseres für die persönliche Weiterentwicklung.
Ok, Vera – und was hast du damals im Kindergarten gemacht?
Zuallererst mal tief durchgeatmet!
Und mir dann klargemacht, dass ich die Erwachsene bin in der Situation, hinter jeder Botschaft mehr steckt als der Sachinhalt (= die gewählten Worte) und ich jetzt besser nicht spontan reagieren sollte.
Denn spontan war ich erst einmal geschockt, woher meine Tochter das Wort „hassen“ überhaupt kennt und warum sie mir das so mehr oder weniger aus heiterem Himmel an den Kopf schleudert. Aus meiner Sicht gab es nämlich überhaupt keinen Grund dafür, ich war ja bloß einmal aufgetaucht.
Spontan wären Antworten wie folgt gekommen:
- „Das sagt man nicht!“
- „Warum – ich hab ja gar nix gemacht!“
- „Was sollen denn jetzt alle anderen denken!“
Aber dass das jetzt keine hilfreichen Äußerungen wären, war mir klar.
Die Sache mit dem Durchatmen klingt natürlich sehr simpel, ist aber deshalb so hilfreich, weil sie einem wenigsten ein paar Bruchteile von Sekunden zum Überdenken und Einschätzen der Situation gibt. Und Sauerstoff ins Gehirn pumpt, was wiederum die Denkfähigkeit erhöht!
Nicht ganz leicht, war die umstehenden Zuschauer gedanklich zu isolieren – natürlich können die ganz schön Druck verursachen. Noch dazu, wo es bei mir ja auch um die „Berufsehre“ ging ..
Ich hab mich dafür entschieden in der akuten Situation diese Äußerung zu ignorieren und zu versuchen den Ort des Geschehens mal zu verlassen, um Abstand zu gewinnen. – meine „Antwort“ war also:
„Gehen wir mal deine Jacke holen!“
Während wir zur Garderobe gingen, hab ich dann für mich überlegt, was bei ihr hinter dieser Äußerung stecken könnte und mal versucht mich in ihre Lage zu versetzen. Meine erste Idee war, dass ich sie vermutlich im Spiel gestört habe. Also habe ich dann in der Garderobe gefragt:
„Wärst du gerne noch länger geblieben zum Spielen?“
Worauf sie mich angestrahlt hat und vollkommen friedlich mit mir den Kindergarten verlassen hat. Von Hass also keine Spur! Und es ging ihr offensichtlich auch nur darum Verständnis für ihr Bedürfnis (Spielen wollen) als ums länger dableiben und weiterspielen.
Auf die Meta-Ebene gehoben waren meine Schritte auf die Äußerung also:
1. Durchatmen statt spontan zu reagieren
2. Zuschauer ignorieren
3. Schauplatzwechsel
4. Verständnis für das Gegenüber
Das ist natürlich keine patentierte „Funktioniert-immer“-Anleitung und lässt sich auch nicht immer hundertprozentig in dieser Reihenfolge.
Außer vielleicht durchatmen, das geht fast IMMER!
Wäre mein Kind nicht Richtung Garderobe mitgegangen, hätte ich mir etwas anderes überlegen müssen.
Wäre ich mit dem Bedürfnis Spielen nicht richtig gelegen, hätte ich eine andere Hypothese aufstellen können. Vielleicht wäre mir meine Tochter dann auch mit einer Erwiderung zu Hilfe gekommen „Nein, spielen wollte ich nicht, sondern ….!“
Du musst hier übrigens nicht befürchten, dass du dem Kind etwas einredest, was gar nicht da ist, wenn du Vermutungen über seine Gefühlslage aufstellst. Wenn du falsch liegst, bekommst du das sofort zurückgemeldet.
Hast du ähnliche Erfahrungen? Oder welche Strategien sind für dich hilfreich, um in schwierigen Situation bestmöglich zu reagieren? Erzähl uns gerne davon in den Kommentaren!
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Liebe Vera,
bei deinem Einstieg konnte ich nur mit dem Kopf nicken :-). Es ist tatsächlich etwas ganz anderes, ob man selbst mit drinnen steckt in der Situation oder es von außen betrachtet.
Von außen sieht man alles klarer und kann Unterstützung anbieten. In der eigenen Familie ist man selbst zu sehr mit drinnen, um diese Klarheit immer zu haben. Manchmal geht sie verloren und auch ich habe mir dann Unterstützung geholt.
LG Petra
Liebe Petra,
ja, genau – bei so etwas kann die Aussensicht einer Gruppe sehr hilfreich sein! lg, Vera
Ich kenn solche Situationen mit dem Satz“du bist doof“ statt „ich hasse dich“ gott sei dank nicht in der kitta dafür manchmal im Laden oder daheim wenn ich etwas verbiete oder er etwas nicht bekommt …. meist sag ich ihm dann „ich kann verstehen dass du jz sauer bist,weil du es nicht bekommst aber du brauchst nicht immer alles“