Sauber werden – ein Appell gegen intensives Töpfchentraining

Sauber werden, keine Windeln mehr brauchen – das ist eines der Erziehungsziele, die oft ganz stark von der Großeltern-Generation eingefordert werden.

Hast du das auch schon einmal gehört?
„Also, du warst in dem Alter schon lange sauber!“

Ja, zugegeben – müssten wir heute noch Stoffwindeln händisch auskochen, wären wir wohl auch noch einmal mehr daran interessiert, dass nicht mehr hineingekackt wird.

Aber zum Glück gibt’s ja mehr Möglichkeiten heutzutage – alles über moderne Stoffwindeln findest du hier bei windelwissen.de - und so können wir doch etwas mehr aufs Kind hören und dessen Bedürfnisse berücksichtigen statt rigide Konditionierungsmethoden einzusetzen!

Was heißt denn überhaupt sauber sein?

Ein paar Fakten vorab – zu allererst müssen wir unterscheiden zwischen Blasen- und Darmkontrolle. Letztere wird meist früher erreicht, weil der Drang nach Entleerung deutlicher spürbar ist und das „Ereignis“ oft nur einmal am Tag, und das noch dazu vielleicht sogar zur gleichen Zeit, stattfindet.

Weiters muss zwischen Tag und Nacht unterschieden werden. Mitunter sind Kinder tagsüber bereits sauber, nässen aber in der Nacht noch ein. Im Körper muss sich erst ein Hormon ausbilden, das im Schlaf die Übermittlung der Botschaft „Blase voll – bitte aufwachen“ ans Hirn übernimmt. Solange dieses Hormon nicht seine Arbeit tut, kann das Kind die Nacht nicht trocken überstehen.

War das Kind nachts schon trocken und nässt plötzlich wieder ein, kann das an Stress liegen. Hervorgerufen etwa durch einen Urlaub, einem Umzug oder auch einem Kindergartenwechsel. Vielleicht auch an einer gerade überstandenen Blasenentzündung – meist geht das bald wieder vorbei. Dauert die Situation länger an, such am besten einmal das Gespräch mit der Kinderärztin.

Überleg mal, was dein Kind alles schaffen muss, wenn es die Toilette benutzen will:

  1. Blasen- bzw. Darmsignal spüren
  2. Beckenboden anspannen (es muss ja noch der Weg zum Klo geschafft werden!)
  3. Spiel unterbrechen
  4. Zum Töpfchen oder aufs WC gehen
  5. Ausziehen
  6. Hinsetzen
  7. Beckenboden wieder entspannen
  8. Muskeln zum mitdrücken aktivieren
  9. Spüren, wenn die Entleerung geschafft ist
  10. Aufstehen
  11. Papier benützen
  12. Anziehen
  13. Spülen
  14. Hände waschen
  15. WC verlassen
  16. Wieder weiterspielen

Das sind immerhin 16 Einzelschritte, die in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden wollen. So genau hast du dir das wahrscheinlich noch nie überlegt, oder?

Als Erwachsener denkt man ja auch nicht mehr mit, da läuft das alles automatisiert ab. Aber dein Kind muss wirklich jeden Schritt bewusst durchführen und darüber nachdenken.

Sauber sein bedeutet, dass das Kind alle diese Schritte durchführen kann und das auch selber will. Trockene Windeln, weil das Kind jede Stunde auf den Topf gesetzt wird, haben dagegen mehr mit Außenkontrolle und Konditionierung zu tun.

Ist mein Kind schon so weit?

Woran kann ich es merken, dass mein Kind bereit ist zum Sauber werden? Es braucht ein Wort dafür – welches ist egal, das liegt an dir, was du anbietest (und hören willst ;-)

Das kann „Lulu“, „Gaga“, „Klo“ oder was auch immer sein, wichtig ist, dass das Kind es in Zusammenhang mit den Vorgängen in seinem Körper bringt. Das ist eine wichtige kognitive Voraussetzung!

Kleiner Exkurs: Windelfrei
In der Tat gibt schon ein Neugeborenes „Zeichen“ wie etwa ein Zucken oder einen Laut von sich, kurz bevor es sich entleert – es würden ja sonst täglich Abertausende von Müttern, die das Kind im Tragetuch bei der Feldarbeit bei sich haben, mehrmals täglich angepinkelt. Die Windelfrei-Methode, die bei uns immer populärer wird, macht sich diesen Reflex zunutze. Es ist tatsächlich möglich von Anfang windelfrei zu leben, es setzt aber sehr viel Beobachtung und Interaktion mit seinem Baby voraus.
Erfahrungsberichte kannst du hier nachlesen: Der Reflex wird übrigens nach einigen Monaten „verlernt“, wenn nicht darauf reagiert wird.

Als körperliche Voraussetzung gilt: erst wenn das Kind selbstständig Stiegen hinuntergehen kann, sind alle betroffenen Muskeln fertig ausgebildet, die fürs Sauber werden benötigt werden!

Und natürlich muss das Kind auch von sich aus wollen. Ohne Eigenmotivation geht es meiner Erfahrung nach nicht. Sagt das Kind von sich aus, es will jetzt keine Windel mehr, kannst du wenige Tage später den Windeleimer entsorgen …

Treffen alle drei Punkte (ein Wort dafür, körperliche Reife und eigene Motivation) zu, hast du optimale Bedingungen ;-)

Du merkst daran auch, dass man kein exaktes Alter nennen kann. Bei manchen Kindern ist es einfach früher so weit, bei manchen später.

Remo Largo, der prominente Schweizer Kinderarzt und Autor von „Babyjahre“*, hat in seinen Langzeitstudien festgestellt, dass Kinder im Durchschnitt mit 2,5 Jahren sauber werden. Wie lange, intensiv oder mit welcher Methode vorher „trainiert“ wurde, hatte wenig Einfluss auf den Zeitpunkt.

Töpfchen oder andere Hilfen

Das ist ein wenig Geschmackssache.

Deine eigene und die deines Kindes ...

Ich persönlich fand die Vorstellung mit dem gefüllten Töpfchen in der Wohnung herumzulaufen und es jedes Mal zu putzen nicht sehr prickelnd. Und meine Kinder haben ihre WC-Treppe* geliebt.

Aus meinen Gruppen kenne ich aber auch viele Kinder, die nicht so gerne so hoch auf dem richtigen Toilettensitz thronen und auch manchmal Ängste vor dem Loch unter ihnen haben.

Es ist auch normal, wenn sie sehr stolz auf ihre Ausscheidungen sind und sie erstmal lieber ausführlich im Töpfchen betrachten. Kinder kennen Ekel in unserem Sinn noch nicht und manche sind wirklich erschüttert, wenn ihr „Produkt“ zuerst von allen bejubelt und dann aber achtlos weggeschüttet wird.

So kannst du dein Kind unterstützen – ganz ohne „Töpfchentraining“

1.   Dein Vorbild

Wie immer zählt die Vorbildwirkung – wahrscheinlich schaffst du es ohnehin nicht ohne Kind aufs Klo zu gehen ????

Aber fürs Sauber werden ist es wichtig, dass das Kind die Alternative zur Windel auch sieht. Kinder kommen dann von ganz allein auf die Idee, das auch so wie die Großen machen zu wollen.

2.   Mach es deinem Kind leicht

Erleichtere deinem Kind den Gang aufs Töpfchen, indem einfach ausziehbare Kleidung wählst – also Hose mit Gummizug statt Jeans mit Gürtel. Im Sommer bietet sich natürlich nackig herumlaufen im Garten an.

Gerade anfangs vergehen zwischen der Meldung „Lulu“ und dem Zeitpunkt, an dem es zu fließen beginnt, nur wenige Sekunden!

3.   Vermeide Druck

Und üb dich in Geduld, schau auf dein Kind und versuche, wohlmeinende Ratschläge möglichst zu überhören!

Welche Erfahrungen hast du beim Sauber werden deiner Kinder gemacht? Oder hast du Fragen dazu? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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8 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Angelina am 07.03.2016 um 11:57

    Das Kinder in dieser Hinsicht verschieden sind, kann ich nur bestätigen.
    Druck habe ich nie ausgeübt, Windelfrei habe ich nicht praktiziert und auch kein „Töpfchentraining“, trotzdem habe ich mit drei Kindern drei völlig unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
    Mein Großer hat von einem Tag auf den anderen mit 2 3/4 seine Windel komplett abgelegt und war einfach sauber. Alle meine Versuche ihn vorher dazu zu bringen hat er aber abgelehnt, obwohl nachts die Windel schon eine Weile trocken war.
    Der Mittlere legte mit 2 1/4 tagsüber von sich aus die Windeln ab, zwei oder drei Monate später auch nachts. Es gab zwar ein paar Unfälle, hauptsächlich in der Kita, nach ein paar Monaten war aber auch das erledigt.
    Die Kleinste war noch mal anders. Sie hat mit etwa einem Jahr begonnen ein Töpfchen zu benutzen, rein aus eigenem Antrieb. Wenn sie nackt war, hat sie sich selbstständig ein Ort zum hinpieseln gesucht und Windeln fand sie doof. Mit 1 3/4 war sie tagsüber völlig trocken und trug nur noch nachts Windeln. Nachts wollte Sie auch keine Windeln tragen, was aber nur funktioniert hat, wenn ich sie mitten in der Nacht aufs Klo gesetzt habe, sonst war in fünf von sieben Nächten das Bett nass. Daraufhin hat sie eine Weile nachts wieder Windeln getragen, dann wieder nicht, immer im Wechsel.
    Jetzt mit 2 1/2 ist sie auch nachts trocken, manchmal will sie aber vor dem Schlafen nicht aufs Klo gehen, sondern möchte lieber eine Windel haben.
    Ich bin froh, dass wir mit dem Thema Windeln durch sind. Das Sauberwerden der Kinder fand ich allerdings nicht stressig, nur spannend.

    • Veröffentlicht von Vera am 08.03.2016 um 17:57

      Liebe Angelina,
      vielen Dank für deinen Erfahrungsbericht!
      Liebe Grüße, Vera

  2. Veröffentlicht von Sabine am 06.08.2016 um 12:58

    Bei meinem Sohn ging es von heute auf morgen und ehrlich gesagt von ganz alleine. In der Nacht braucht er zwar noch seine Windel, aber das ist für mich komplett ok. Da braucht er ganz einfach noch ein bißchen Zeit. Und die werde ich ihm auch geben. In der Nacht merkt er den Harndrang noch nicht und wird dadurch noch nicht automatisch wach. Ich mache ihm da auch keinen Druck. Ich bin davon überzeugt, dass er auch von heute auf morgen in der Nacht keine Windel mehr brauchen wird. Ich halte nichts davon ein Kind in der Nacht zu wecken damit er auf die Toilette geht. Hab ich auch schon gelesen. Leider kommt das auch vor ( nur meine Meinung). Das soll jeder selbst entscheiden wie er das handhaben möchte. Aber grundsätzlich glaube ich, wenn das Kind nicht dazu bereit ist, wirds auch nicht funktionieren. Man hat nun mal nicht alles in der Hand. Manches passiert ganz einfach von selbst

    • Veröffentlicht von Vera am 08.08.2017 um 11:58

      Blase eher darauf sich regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt zu entleeren und das macht sie dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch, wenn man mal aufs Wecken vergisst …
      Alles Liebe, Vera

  3. Veröffentlicht von Joanna am 07.08.2017 um 14:59

    Dass Kinder in diesem Hinsicht verschieden sind kann ich nur als Mama und Pädagogin bestätigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Sauber werden ein Reifungsprozess ist. Der Prozess beginnt bereits im Mamas Bauch, schon da urinieren die Babys. Die Nervenbahnen Gehirn – Blase, Gehirn – After müssen einfach ausreifen. Bei manchen Kindern passiert es schneller bei manchen langsamer. Das hat nichts mit dem Intelligenz des Kindes zu tun!!! Es ist morphologisch und physiologisch bedingt.

    Bevor eine Sauberkeitserziehung beginnt, muss zuerst eine Sauberkeitsentwicklung stattfinden. Hier soll man auf Signale vom Kind warten, wenn es z.B. nach dem großen Geschäft auf uns zukommt und Bescheid sagt: „Kacka“. Dann kann man mit der Sauberkeitserziehung anfangen. Die Toilette zeigen, ausprobieren auch ab und an fragen, ob das Kind mal muss. Dann dauert es, in der Regel, nicht lange Sauber zu werden, weil das Kind dafür reif ist. Die Orientierung am Kind muss hier das A und O sein. Man darf sich und das Kind auf keinen Fall unter Druck setzen, auch nicht wenn die Oma nervt;-)

    Der Reifungsprozess dauert unterschiedlich lange. Erst wenn das fünfjähriges Kind noch nicht trocken ist, sprechen Kinderärzte von einem Problem, welches behandeln werden sollte.

    • Veröffentlicht von Vera am 10.08.2017 um 12:00

      Liebe Joanna, oja, das kenn ich gut den Druck von der Großelterngeneration „Also du warst in dem Alter ja schon laaange sauber“ – zum Glück setzt sich die Erkenntnis, das viel mehr Entwicklung als Erziehung dahinter steht immer mehr durch.
      Liebe Grüße, Vera

  4. Veröffentlicht von Reiter Anna am 27.04.2018 um 12:01

    Hallo und vielen Dank für diese tollen Tipps.

    Die würden normalerweise sicherlich helfen, aber ich hatte das Problem dass meine Tochter (zwei Jahre alt) einfach nicht auf Töpfch wollte.
    Ich suchte unzählige Stunden im Internet nach Tipps und Tricks, wie die Kleine endlich aufs Töpfchen bringen könne.

    Nach vielen erfolglosen Versuchen erzählte mir meine beste Freundin, die selbst Mutter einer kleinen Tochter ist, wie sie es geschafft hat ihre Tochter aufs Töpfchen zu bringen.

    Sie empfahl mir ein Töpfchentraining welches sie im Internet fand und bei ihr sehr schnell zum Erfolg führte.
    Ich war am Beginn total skeptisch und konnte ihr nicht wirklich glauben, aber da sie meine beste Freundin ist und ich sah wie gut es bei ihr funktionierte besorgte ich mir dieses “Töpfchentraining” ebenfalls.

    Es war eine der besten Entscheidungen die ich als Mutter je getroffen habe. Mein kleiner Schatz geht jetzt schon seit 5 Tagen selbstständig aufs Töpfchen. Ich bin wirklich begeistert von den Informationen die selbst bei sturen Kindern, wie bei meiner kleinen Tochter wahre Wunder wirken.

    Ich möchte Euch deshalb dieses Töpfchentraining einfach nicht vorenthalten.
    https://goo.gl/SNzaZx

    Ich hoffe, dass ich damit einigen Eltern Helfen die gerade ein ähnliches Problem haben wie es bei mir war helfen kann.

    Liebe Grüße Anna

    • Veröffentlicht von Vera am 02.05.2018 um 12:01

      Liebe Anna – vielen Dank für deine Erfahrung, die du mit uns teilst!
      Wie der Name meines Artikels schon sagt, bin ich keine große Freundin von „Trainings“ – ich bin einfach überzeugt davon, dass das Sauber werden eine Entwicklungssache ist und wenn das Kind bereit ist, wird es innerhalb weniger Tage so weit sein!
      Bei so mancher meiner Klientenfamilien hat sich das Kind auch gerade deshalb als so „stur“ erwiesen, weil die Eltern (im Prinzip genauso „stur“:-)) immer wieder auf dem Töpfchen bestanden haben – und Druck erzeugt einfach immer Gegendruck.
      Liebe Grüße,
      Vera

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