Heute wird es praktischer – ich schildere dir hier Alltagssituationen, in denen Lob sogar kontraproduktiv ist.
Weil man in der falschen Situation das falsche Werkzeug benutzt, wie das kleine Maxl hier auf dem Bild. Mit dem tollsten Schraubenzieher der Welt wird er nicht erfolgreich sein, wenn es darum geht einen Nagel einzuschlagen.
Bestimmt hast du die eine oder andere Situation schon selbst erlebt und dich sogar gewundert, warum dein Lob so gar nicht positiv aufgenommen wurde. Dann findest du hier die Erklärung dazu:
1. Wenn hinter dem Lob ein Anspruch steckt
Mutter wirft einen Blick in Emils (7 Jahre) Zimmer „Möchtest du nicht wieder mal aufräumen? Du bist doch so ein ordentlicher Junge!“Was hört Paul und was macht das mit ihm?
Er hört vor allem den Anspruch, er solle doch wieder mal aufräumen. Das Positive bekommt er nicht mit, das war ja eigentlich auch gar nicht von seiner Mutter gemeint. Sie war bloß nicht ehrlich und mutig genug, Paul zum Aufräumen aufzufordern und darauf zu bestehen.
Der Mutter ist das wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie mit ihrer Aussage viel stärker ihren „heimlichen“ Anspruch transportiert als ihr eigentliches Anliegen.
2. Wenn sich hinter dem Lob Kritik versteckt
Maria (4 Jahre) und ihre Mutter sind auf den Weg in den Kindergarten, gerade machen sie sich im Vorzimmer fertig – Jacke, Haube, Schuhe anziehen. Mutter: „Na, heute warst du ja mal richtig schnell beim Anziehen!“Was hört Maria und was macht es mit ihr?
Maria hört vor allem, dass es sonst nicht so schnell geht – also die Kritik. Sie hört, dass ihre Mutter sich wünscht, das sie sich ändern soll. Sie spürt die Manipulation dahinter.
Kinder lehnen aber solche Manipulationsversuche – wie auch in Situation 1 – heftig ab. Langfristig nehmen sie nur das Negative wahr und auch, dass Wünsche und Kritik nicht ehrlich, sondern „hintenrum“ kommuniziert werden.
Besser wäre also in beiden Fällen, wenn zuerst die Erwachsenen ihre Bedürfnisse klären und die dann in einer ICH-Botschaft den Kindern mitteilen.
3. Wenn das Lob schlechte Stimmung vertreiben soll
Silvia (4 Jahre) ist ganz traurig, weil ihre beste Freundin im Kindergarten heute die ganze Zeit mit einem anderen Kind gespielt hat.Mutter: „Da brauchst du doch gar nicht traurig sein - du bist doch so ein nettes Mädchen, mit dem alle anderen Kinder auch spielen wollen! Spiel doch einfach mit einem anderen Kind.“
Was hört Silvia und was macht es mit ihr?
Silvia hört hier sicher nicht das Positive, das mit dem Lob vermittelt werden soll, nämlich dass sie ein nettes Mädchen ist. Sie wird hören, dass ihr Gefühl nicht richtig ist und das Freundschaft offenbar doch nicht so wichtig ist, wie sie denkt. Man kann ja ganz schnell von einem zum anderen wechseln und „mit dem Freundin sein“. Die Kernbotschaft für Silvia ist also ein ganz andere als die Mutter mitteilen möchte.
Vermutlich geht es der Mutter auch weniger um das Lob für das Kind. Wir halten es oft ganz schwer aus, wenn es unseren Kindern nicht gut geht und versuchen diese Situation möglichst schnell zu beenden, indem wir – wie oben – Ratschläge geben oder Situationen, die für das Kind belastend sind, kleinreden.
Besser wäre es mithilfe des aktiven Zuhörens die Gefühle des Kindes wahr- und ernst nehmen.
4. Wenn du ein Kind vor anderen Kindern lobst
Benjamin (3 Jahre) hat ein Bild gemalt, dass seine Mutter soeben für „Schön – das hast du gut gemacht“ befunden hat.Paul (5 Jahre) steht daneben und bekommt die Situation mit.
Was hört Paul und was macht das mit ihm?
Er hört das Lob für seinen Bruder und in der Sekunde werden Urängste in ihm angetriggert.
Was ist, wenn die Eltern den Bruder lieber als ihn? Ganz schnell muss Paul sich also auch der Liebe seiner Mama versichern und wie geht das besser als sich ebenfalls ein Lob von ihr zu holen. Ganz fix wird auch ein Bild produziert und der Mama unter die Nase gehalten – und ganz genau zugehört: „Klingt Mamas „ Schön“ jetzt eh mindestens genauso begeistert wie vorher bei meinem Bruder? Oder vielleicht sogar noch besser?“
Und obwohl sie das damit bestimmt nicht beabsichtigt hat, fördert die Mutter mit ihrem Lob die Konkurrenz und Rivalität zwischen den Geschwistern …
Besser wäre es in solchen Situationen, das erste Kind nach seiner eigenen Meinung zu seinem Bild zu befragen und so dessen Selbsteinschätzung zutage zu bringen.
5. Wenn das Lob nicht der Selbsteinschätzung entspricht
Irina (4 Jahre) und ihr Vater spielen Ball – sie ärgert sich, weil sie den Ball oft nicht richtig fangen kann. Papa sagt: „Du bist schon ganz super im Ball fangen!“ Irina ärgert sich gleich noch mehr und antwortet mit: „Papa, das stimmt ja gar nicht!“Was macht das Lob mit Irina?
Es entspricht nicht ihrer Selbsteinschätzung. Sie erkennt selbst, dass sie das noch üben muss und fühlt sich von ihrem Papa nicht ernstgenommen. Es klingt in ihren Ohren einfach falsch und nicht der Situation entsprechend. Auf Dauer gesehen besteht die Chance, dass sie an der Integrität der sie Lobenden zweifelt.
Auch hier wäre es für die Beziehung zwischen Vater und Maria hilfreicher, wenn er sie und ihre eigene Einschätzung wahrnehmen und respektieren würde.
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